Radsport und Beziehung. Eine Zerreißprobe? Wenn die gemeinsame Radtour zur Qual wird. Muss das sein?

Draußen regnet es. Das Wasser spritzt gefühlt meterhoch von der Terrasse. In Gedanken bin ich bei den Verrückten, die heute seit den ersten Lichtstrahlen bei Belchen³ fahren (Für alle die, die Veranstaltung nicht kennen: Belchen³ = 3 Berge, 3 Nationen, 1 Tag | ca. 320km & ca. 3.900hm). Nebenbei stöbere ich im Internet und stoße auf einen amüsanten Bericht (unten verlinkt) von Carolyn Friesl über den langen Weg zu gemeinsamen, entspannten Ausfahrten von radelnden Paaren gepaart mit Tipps - v.a. für den stärkeren Part (was ja nicht zwangsläufig der männliche sein muss) - wie sich die Durststrecke erfolgreich verkürzen läßt. 

Tatsächlich scheint das ein weitverbreitetes Thema zu sein. Haben sich doch auch schon große Bikemagazine ausgiebig dem Thema gewidmet. Auch ich blicke auf eine nunmehr mehr als 6-jährige gemeinsame Radzeit zurück. Ist das bei uns auch so? Wir fahren überwiegend zu zweit und waren zeitweise meilenweit leistungsmäßig, aber v.a. auch von der Bereitschaft sich körperlich quälen zu wollen, voneinander entfernt

Nach 20 Jahren aktivem Straßenrennsport hatte ich das Rennrad im Keller eingemottet. Ich hätte es warscheinlich auch nie mehr herausgeholt, wäre ich nicht auf meinen Freund getroffen. Witzigerweise hatte dieser keinerlei "Radsportvergangenheit" und begeisterte sich vornehmlich für's Freeriden. Irgendwann beschlossen wir uns Räder zuzulegen, mit denen man auch einmal eine gemeinsame Radtour machen kann. Nichts wirklich Sportives. Gemeinsam mit einem Arbeitskollegen beschloss meine bessere Hälfte zum MTB-Worldcup nach Rammersweier zu radeln: ca. 80 km. Ich beschloss mit dem Auto dorthin zu fahren mit dem Plan, gemeinsam nach dem Rennen via Auto wieder heimzufahren. Doch daraus wurde nichts. Das Radvirus hatte bereits um sich gegriffen und die Heimfahrt wurde ebenfalls mit dem Rad in Angriff genommen, der Tacho stand am Ende auf fast 170 km. Zu meinen aktiven Zeiten konnte ich mich nur selten dazu überwinden über 80 km zu trainieren, doch nun war der Startschuss zu langen Strecken gefallen. Fortan fuhren wir jedes Wochenende - Sommer wie Winter - gemeinsam und weniger als 100 km zeigte der Tacho bei Ankunft selten. Meiner Antipathie gegenüber Höhenmetern blieb ich jedoch treu. Da wir leistungsmäßig nicht unendlich weit auseinander lagen, ging das gemeinsame Fahren super. Meinungsverschiedenheiten gab es eigentlich nur zum Thema, wann abends "das Licht ausgeschalten wird". Nahezu jede Fahrt endete in absoluter Finsternis. Eine Lernkurve in der Form, dass wir einfach Beleuchtung hätten mitnehmen können, war nicht zu erkennen.

Spontanentschluss mittags um 14 Uhr: Man könnte ja kurz 130 km nach Basel und zurück fahren.

Abenteuer Chiemsee
Wie so oft, reicht ein Rad nicht aus. Nachdem wir im Urlaub zwei MTB's ausgeliehen hatten und damit auf Anhieb bis den Hinterwaldkopf getourt sind, haben wir die Leihbikes kurzerhand behalten (Nicht missverstehen - wir haben sie auch bezahlt). Fortan verlagerten wir unsere Touren in den Schwarzwald. Auch hier klappte das gemeinsame Fahren hervorragend. Einziges Konfliktpotential: Mein schwindender Orientierungssinn, wenn sich ein Unterzucker ankündigt.
Eine der schönsten Plätze im Schwarzwald: Schluchsee.


Unser Ehgeiz war geweckt. Man könnte ja auch mal einen Wettkampf bestreiten. So standen wir im nächsten Frühjahr bei diversen MTB-Marathons am Start. Damit fing das Dilemma an. Ich - getreu meiner Sprinteraffinität - jeweils auf der Kurzstrecke, mein Freund - getreu seiner Überzeugung eher einem Dieselmotor zu ähneln - auf den Mittel-/Langstrecken. Fortan wurde es schwerer gemeinsam zu fahren. Denn irgendwie war es nicht mehr das gemeinsame Genußradeln in unserem wunderschönen Schwarzwald, sondern es war Training. Jeder wollte optimal für seine Ansprüche trainieren. Wir haben viele Varianten ausprobiert
  • Intervalltraining einbauen, das jeder für sich fährt
  • Er setzt mich nach einer kürzeren Runde ab und fährt alleine weiter
  • Ich fahre mit dem Zug in den Schwarzwald und wir treffen uns erst dort
  • Er fährt schwere Reifen oder das schwerere Rad (inzwischen ist auch noch ein Cyclocrosser dazugekommen
Alles zweckmäßig. Aber gemeinsame Aha-Erlebnisse
2. von 3 Pässen gemeinsam gemeistert.
wurden weniger. Wie schön war doch das 1. gemeinsame Alpenbrevet, zu dem ich uns völlig naiv angemeldet hatte, ohne mir die Ausschreibung richtig angeschaut zu haben, nur weil unser Nachbar so davon geschwärmt hatte? 3850 Höhenmeter (Wieviele Schauinslands nacheinander sind das nochmal nacheinander???)
 
mit 3 Alpenpässen (Grimsel, Furka, Susten), die wir uns gemeinsam mit viel gegenseitiger Motivation, wenn jeweils der andere einen Tiefpunkt hatte, erkämpft hatten. Noch heute denken wir begeistert an unsere gemeinsame Zieleinfahrt bei Einbruch der Dämmerung zurück, kurz vor Abbau des Zielbogens. Total k.o. aber unendlich glücklich.
 
Zieleinlauf Meiringen. Klinisch tot, aber glücklich.

Noch heute schütteln wir gemeinsam den Kopf über ein Pärchen, deren Beziehung ganz bestimmt an diesem Tag auf eine Zerreißprobe gestellt wurde. Sie: hochambitioniert, mit gutem Material und einem Rucksack voller gekochter Kartoffeln (ihrem Geheimtipp für lange Radtouren) auf dem Rücken. Er: Besseres Tourenrad, garantiert kaum Radkilometer in den Beinen, unpassende Kleidung. Während sie immer kilometerweit vorausfuhr, um dann ewig auf ihn wartend ihre Kartoffeln zu verspeisen, quälte er sich Kilometer für Kilometer durch's Alpenbrevet. Ohne Verpflegung. Unser Mitleid hatte er. Und irgendwann gaben wir ihm auch unsere restliche Verpflegung ab, damit er auch den Susten noch hinter sich bringen konnte. Er erreichte irgendwann 45 Minuten nach uns das Ziel. Ob seine Beziehung zu diesem Zeitpunkt noch Bestand hatte, entzieht sich unserer Erkenntnis.

Mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes meines Freundes spitzte sich die Problematik zu. Seine zusätzlichen 60 Rad-Kilometer täglich zur Arbeit im Verhältnis zu meiner nahezu radfreien Zeit unter der Woche führten dazu, dass unser Leistungspotential Lichtjahre auseinander driftete. Das neue Race-Hardtail mit 1x11 Übersetzung wiederum dazu, dass es für ihn nicht mehr möglich war langsam die Berge hochzufahren. Umgekehrt wurde ich aber nicht schneller.
Eine von vielen MTB-Marathons

In diesem Winter war es so weit. Irgendwie hatten wir beide die Lust am Radfahren nahezu verloren. So wenig Kilometer wie diesen Winter sind wir beide seit Jahren nicht gefahren. Parallel die Erkenntnis: Die MTB-Marathon-Fahrerei war der Auslöser! Vom Ehrgeiz gepackt. Die persönliche Latte hoch angelegt, wahrscheinlich zu hoch. Den Vergleich zur Spitze gesucht. Bis zum Wettkampf jeweils das schlechte Gewissen, dass man zu wenig oder zu unspezifisch trainiert hat und nach wie vor zu viel wiegt, um eine realistische Chance auf eine gute Platzierung zu haben. Carbon statt Kondition. Eine schlechte Ausgangssituation für Spass und Entspannung. 

Dieses Jahr keine Marathons. Kein Zwang. Nur Radfahren, wenn man Lust dazu hat und das Wetter mitspielt. Kein schlechtes Gewissen. Kein Kilometer-Exodus. Kurz zusammengefaßt: schön. 

Erkenntnis: Gemeinsam trainieren als Paar mit unterschiedlicher Leistungsstärke - ein schweres Unterfangen. Sobald das gemeinsame Erlebnis von beiden mit "Training" überschrieben wird, ist es schwer, dass beide dies als positives Erlebnis genießen können.

Daher mein Tipp: wenn beide tatsächlich (gleichzeitig) trainieren wollen, dann am besten andere Gleichgesinnte suchen in der richtigen Leistungsstärke. Die Zeit gemeinsam auf dem Rad einfach nur genießen. Ohne Leistungsdruck. Mit ausreichend Cappuccino-Pausen. Fernab von der Hektik des Alltags die schönen Aussichten genießen. Dann ist das gemeinsame Radfahren das schönste was es gibt.

So und hier der versprochene Bericht von Carolyn. Wer Lust auf ihren blog hat: http://ciclista.net/
 


 

 








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