2019 - ein Jahr, das nicht "meins" war ...


Der Plan

Eigentlich hatte alles gut angefangen, meine ich mich zumindest zu erinnern... Neuer Job & 1000 gute Vorsätze, so kurz vor dem 50. Geburtstag. Doch dann kam alles ganz anders.Wobei? So richtig gut fing es schon nicht an. Der lang ersehnte Camper-Ausbau, der kurz vor dem Jahreswechsel anvisiert war, konnte nicht stattfinden, weil der Ausbauer personelle Ausfälle hatte und beim besten Willen kein Ersatzpersonal finden konnte. Immerhin vermittelte er uns weiter an einen befreundeten Ausbauer. Aber das Warten auf einen Termin begann von neuem. Die Tour de France live mit dem neuen Camper zu besuchen und Emanuel Buchmann und Pascal Ackermann die Berge hochzuschreien, war damit "gestorben", da der Camper zu dem Zeitpunkt noch im hohen Norden in der Werkstatt stand.

Schlimmer geht immer

Das sollte sich aber dieses Jahr eher als geringstes Problem herausstellen. Die Erkrankung meiner Mutter schritt weiter fort. Mein Vater war nicht mehr in der Lage viel zu unterstützen. Jeder Tag brachte neue Herausforderungen. Und dann der Anruf meiner Mutter: "Papa ist mit dem Notarzt in die Klinik gebracht worden." Diagnose: Schlaganfall. Eine Woche des Wartens und Hoffens begann. Für mich sehr schwer, meinen Vater so, angeschlossen an viele Schläuche und ohne Bewußtsein, zu sehen.

Mein Vater, mein sportliches Vorbild

Mit 16 Jahren war er zum Radsport gekommen und dabei geblieben. Hatte sich das meiste Wissen selbst beigebracht oder Erfahrungen leidvoll sammeln müssen (Milch, auch wenn gesund, eignet sich an warmen Tagen nicht für die Trinkflasche, es sei denn, man bevorzugt Sahne während des Rennens). 

Wenn man vom Sport finanziell nicht leben kann, muss man Wege finden, ihn neben dem Job ausüben zu können. Bei meinem Vater bedeutete das einen Deal mit dem Chef im Winter zu schließen: 1,5 Stunden verlängerte Mittagspause zum Trainieren, dafür doppelte Zeit nacharbeiten. Da Freiburg leider über keine Radrennbahn verfügte, wo man auch im Winter hätte abends trainieren können, eignete sich bei einem solch knappen Zeitfenster "Querfeldein" (neudeutsch: Cyclocross) am besten als Spezialdisziplin. Damals gab es keine getrennte Wertung zwischen Profis und Amateuren. Da Rolf Wolfshohl (13-maliger Deutscher Meister im Querfeldein, 3-maliger Weltmeister & Träger des gelben Trikots bei der Tour de France) als Vollprofi den obersten Platz auf dem Podium quasi abonniert hatte, war es um so schwieriger, sich daneben noch positionieren zu können. Doppelt schwer, wenn man nur in der Mittagspause quasi 1,5 Stunden Vollgas am Roßkopf und im Bombenloch heizen konnte und dazu auch noch einige Kilos zu viel für diesen Sport auf die Waage brachte. Da musste schon alles passen und der Boden gefroren sein, damit sich das Gewicht weniger negativ auswirkt. 1962 & 1963 hat alles gepasst. Jeweils die Bronze-Medaille bei der Deutschen Meisterschaft & eine Nominierung für die Weltmeisterschaft war die Belohnung:


Da man vom Radsport als Amateur nicht leben konnte, kam irgendwann der Abschied: Erst Kfz-Meisterschule, dann 1969 gemeinsam mit meiner Mutter Hausbau, Eröffnung einer eigenen Kfz-Werkstatt & Geburt einer Tochter. Hier hat mein Vater sicherlich nicht geahnt, dass er nochmals so eng mit dem Radsport verbunden sind würde.

Die Wende: Ein Tag im Frühling 1981

Traditionell fand in meinem Heimatort Holzhausen das Radrennen, damals noch über den Kirchberg, statt. Mädchen & Frauen im Radsport waren eine Randerscheinung. Getrennte Rennen gab es kaum. Mädels durften aber immerhin bei den Jungs mitfahren und das sogar eine Klasse niedriger (Nicht unbedingt gerecht in den unteren Altersstufen). Und so staunte ich nicht schlecht, als ein Mädel das Rennen der B-Schüler im Sprint gewann. Obwohl bis dahin selbst kaum mit dem früheren Sport meines Vaters in Kontakt gekommen, stand für mich fest: "Das will ich auch!".  Kopf schütteln bei meinem Vater: "Nein, das ist nichts für Mädchen!". Ausfürliche, aus seiner Sicht logische Begründungen: "Stürze tun weh und hinterlassen Narben" (... aber das ist doch bei den Jungs nicht anders?), "Es scheint nicht immer die Sonne, Rennen werden auch im Regen gefahren!" (... ich bin doch nicht aus Zucker!), "Einfach Rennen fahren geht nicht, du mußt auch viel trainieren." (...hm, wenn es sein muss?!). Aber eines habe ich auf alle Fälle von meinem Vater geerbt: den Dickschädel. Wenn ich was will, dann will ich das. 100x "Ich will ein Rennrad & will Rennen fahren" später war es endlich soweit. An einem Samstag Morgen ist mein Vater entnervt mit mir zum Radsport Böttcher nach Freiburg gefahren und ein metallic-blaues Mairag wurde mein erstes Rennrad. Wenige Tage später bin ich in Oberhausen beim Talentsucherennen mit ca. 25 Jungs am Start gestanden und wollte das Rad danach direkt wieder verschenken. Das mit dem Training hatte ich irgendwie ausgeblendet. Die Lungen haben geschmerzt, mir war schlecht und den 5. Platz fand ich auch nicht prickelnd. Hätte mir der Sieger der Schüler C nicht weltmännisch erklärt, dass das Lungenpfeifen mit Training nachlässt, wäre es mein erstes und letztes Rennen gewesen. Danke, Iff! 

Wenige Wochen später beim Zwetschgenfestkriterium in Bühl der erste Podiumsplatz (bei den Jungs) und ich war stolz wie Bolle. Meine Eltern glaube ich auch.

21 Jahre lang bin ich mit Begeisterung Lizenz-Radrennen gefahren. Insgesamt über 500 Rennen: Straße, Querfeldein (auch wenn die Sportordnung das damals für Frauen noch gar nicht zugelassen hat), später MTB und das eine oder andere Bahnrennen. 

Wirklich trainingsfleißig war ich nicht. Auch hier habe ich es wie mein Vater gehandhabt: lieber kurz und knackig. Auch ich galt für die Berge zu schwer, daher bin auch ich mit Begeisterung Kriterien gefahren, bei denen Schnelligkeit & Cleverness (Wer hat wann wieviel Punkte geholt?) halfen. Die Technik-Affinität meines Vaters kam mir hier zu Gute: Bahnrahmen mit höherem Trettlager & kürzere Kurbeln halfen, vor den Konkurrenten anzutreten. Die Lenkerschaltung aus dem Cross erlaubte im Sprint noch schalten zu können. Oft genug sprang wegen dieser wenigen Zentimeter ein Sieg heraus (auch mit weniger Training). 

Auch mein Vater startete nochmals bei den Senioren durch und fuhr das eine oder andere Rennen.

Danke

Während der einen Woche am Krankenbett auf der neurologischen Intensivstation gingen mir viele gemeinsame Erlebnisse durch den Kopf:  
Unendliche Vater-Tochter-Diskussionen im Training, ob der Tuniberg nun ein Berg ist und, ob man ihn nicht umfahren kann, um keine Höhenmeter machen zu müssen (Sprinter halt). Plattes Vorderrad beim "Henninger Turm" in der Spitzengruppe, genau an der Stelle, an der mein Vater steht ... der da allerdings zum 1.x überhaupt ohne Ersatzlaufrad steht. Was ich in meiner Wut zu ihm gesagt habe, war nicht nett. Wie mein Vater Katrin & mir nach einem verschneiten Osterrennen in Gottenheim die Füße auftaut. 
Viele meiner Grundsätze habe ich von ihm übernommen: Das Ziel ist an der Ziellinie und vorher wird kein Sieg verloren gegeben. Und auch: Aufgeben ist keine Option.  

Am 30.06.2019 folgte der 2. Schlaganfall und das Aufgeben war erstmalig eine Option. Nach dem Abschalten der Geräte verstarb mein Vater in der Klinik. Keine drei Monate später starb auch meine Mutter.  

Beide haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Dafür bin ich sehr dankbar. Mein Herz hängt nach wie vor am Rad und am Radsport und das wird sich auch nicht mehr ändern. 

2020 wird hoffentlich ein besseres Jahr. Ich habe gemeinsam mit meinem Mann viele Ideen. Der Camper ist auch endlich einsatzbereit und ich kann wieder an der eigenen Fitness arbeiten. Ein neues Motivationsvorbild ist auch schon gefunden :-) 75 Jahre alt & fit wie ein Turnschuh. 

Neuer Leitspruch: Sport muss nicht Spass machen, sondern ist eine Notwendigkeit ... Danke, Bernd! Auf die nächsten 25 Jahre...

























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