Alpenbegeisterung gepaart mit Radverrücktheit - Wer hätte das vor 11 Jahren gedacht?
Radsportverrückt war ich schon immer. Das mit der Begeisterung für imposante Berge kam erst neu bei mir dazu. Mein Vater kann es nach wie vor nicht glauben, wenn ich ihm Fotos aus den Alpen zeige. Hatte er mit mir in meiner Jugendzeit tägliche Grundsatzdiskussionen zu führen, ob es wirklich noch über den March-Hügel (max. 35 Höhenmeter) rüber muss oder, ob man diesen nicht irgendwie umfahren kann. Dazu passen dann begeisterte Erzählungen über das Erklimmen von Grimsel, Furka, Susten oder der Kleinen Scheidegg via Rad nicht wirklich. Und das ohne permanent zu Nörgeln? Ja, wirklich kaum zu glauben. Ich glaube es ja manchmal selbst nicht.
Aber heute soll es gar nicht um meine neue, innige Beziehung zu Bergen gehen, sondern um die von Marcus Richter. Kennengelernt haben wir uns 2005 - also vor 11 Jahren - auf einem Jugend Camp auf den Azoren, einem der besten Orte der Welt, um Wale und Delfine zu sehen. Marcus war damals einer der Teilnehmer, ich Betreuer. Trotz der räumlichen Entfernung - Freiburg/Berlin - blieben wir in Kontakt, begeisterten wir uns doch beide für Wale & Delfine, das Fotografieren und hörten die gleiche Musik. "Dritte Wahl" steht bei uns nach wie vor weit oben in der Liste. Über Sport hatten wir damals nicht so viel gesprochen, zumal ich zu der Zeit nicht einmal mehr ein Rad im Keller stehen hatte. Marcus selbst begeisterte sich für alle Arten von Sport. Spielt selbst Hockey, Eishockey und Rugby und entdeckte irgendwann seine Liebe zum Rennrad.
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Azoren-Camp 2005: Marcus (links), Anke (Mitte) und ich (rechts) |
Inzwischen hat es ihn als Biologe gemeinsam mit seiner Frau Anke, damals ebenfalls Teilnehmerin des Jugendcamps, nach Hawaii verschlagen. Dank der sozialen Netzwerke klappt auch hier der Kontakt völlig problemlos. Inzwischen auch Marcus mit eigenem blog: Hawaii Roadbike Blog.
Marcus (links) beim Zach Crit auf Hawaii |
Da er Gefallen an meinem blog gefunden hat und er bisher keine geeignete Plattform für seine Alpenradtouren gefunden hatte, kam die vorsichtige Anfrage, ob ich nicht Interesse hätte, seine Berichte zu veröffentlichen. Ja klar. Es ist schön zu sehen, dass es nicht nur mir so geht.
Hier sein erster Bericht:
Herausforderungen und Kämpfen
Rennrad Fahren, Wandern im Gebirge. Das Erklimmen
steiler, kurviger Bergstraßen, das Ersteigen windiger Gipfel übt eine ganz
besondere Faszination auf mich aus. Es ist ein Kampf mit der Geographie, den
Elementen und ultimativ mit sich selbst. Mit nicht gegen. Gegen heißt, den
anderen zu bezwingen, ihn auszuschalten. Was bleibt mir, wenn ich den Berg, das
Wetter, mich selbst vernichte? Leere. Ich kämpfe mit ihnen, um das Ziel die
Herausforderung zu meistern und die Schwierigkeit zu erhöhen. Ich kämpfe mit
ihnen, weil ich sie respektiere, mit ihnen leben will. Die Freude am Kampf und
nicht am Gewinnen ist mein Antrieb. Niederlagen sind schmerzhaft. Das sind auch
Siege. Das gute Gefühl wird aus dem Kampf gewonnen, dem man sich gestellt hat,
unabhängig von seinem Ausgang. Ich will den Berg nicht besiegen. Ich möchte,
dass er morgen auch noch dort steht in seiner Pracht und Schönheit und mich
erneut herausfordert. Ebenso verhält es sich mit dem Wetter. Dir war es heute
zu einfach? Wie wär’s mit etwas Regen morgen? Und schließlich: mich selbst? Was
passiert, wenn man sich selbst besiegt? Ist es das Ende und mehr kann nicht
kommen? Gibt es keine Herausforderung mehr? Stirbt man (in einem übertragenem
Sinn)?
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Marcus, Dein Blick sagt alles ;) |
Die Natur mit den Bergen, den Pflanzen, dem Wetter und
und und kann und will ich als Sportler nie besiegen. Doch wie sieht es mit mir
selbst aus? Habe ich mich schon besiegt? Ich denke ja. Für mich ist der Sieg
über sich selbst der Moment, in dem man inne hält und sich fragt: Was nun?
Womit kann ich mich selbst wieder herausfordern? Und es fällt einem nichts ein.
Stillstand. Alle Ziele erreicht. Das ist eine sehr delikate Situation im
(Sportler-)Leben. Plötzlich fehlt die Richtung. Der Kompass dreht sich im
Kreis. Die ultimative Herausforderung, die Ursache des eigenen Wirkens, nämlich
der Kampf mit sich selbst verschwindet und man hängt im Leerlauf fest.
Ich. Ich. Ich. In einem sehr interessanten Seminar über
gewaltfreie Kommunikation habe ich gelernt, dass das “Ich” an erster Stelle
steht. Wie fühle Ich mich. Wie verstehe Ich dich. Was kann Ich machen, damit du
Mich verstehst? Beim Sport ist es nicht anders. Die Motivation, ein Hochgebirge
mit dem Rad zu durchfahren, einen Berggipfel zu Fuß statt mit der Gondel zu
erklimmen oder einfach ein Spiel zu gewinne, resultiert aus dem “Ich”. Ein
Schuss wird nicht geblockt, weil mein Trainer es mir sagt, sondern weil Ich mir
selbst die Herausforderung stelle, die Vorgaben meines Trainers zu erfüllen.
Ich will es, ich kann es, ich schaffe es! Doch dazu brauche Ich ein Ziel.
Ein Kampf ohne Ziel ist unbestreitbar Zeit- und
Energieverschwendung. Kein Mensch bei klarem Verstand wird eine Handlung ohne
ein Ziel, einen Antrieb ausführen. Deswegen brauche ich auch im Sport Ziele.
Diese variieren natürlich je nach Sportart. Prinzipiell gibt es ein Ziel,
welches immer dabei ist: Ich muss besser werden! Sobald dieses Ziel verloren
geht, droht das gesamte Konstrukt einzustürzen. Fast alle anderen Ziele
basieren schließlich darauf, dass Ich mich dem Kampf mit meiner eigenen
Leistungsfähigkeit stelle. Diese Mal habe Ich 2,5 Stunden bis zur Berghütte
gebraucht. Das nächste Mal schaffe Ich es in 2,25 Stunden! Sicherlich kann man
Geschwindigkeiten, Weglängen, Höhenmeter etc. mehr und mehr nach oben schrauben.
Doch irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man unter den gegebenen
Umständen (Trainingszeit, Material, usw.) sein Potenzial ausgeschöpft hat. Was
dann?
Diese Frage wirft mich zurück ins Jahr 2009, mein
“glorreicher Sommer”. Während meiner Studienzeit in Jena hat mich das
Radsportfieber infiziert und ich war besessen von dem Traum, die Passstraßen
der Alpen mit dem Rennrad zu erklimmen.
Angefangen hat es mit einem Mountainbike auf den Radwanderwegen und
Landstraßen rings um Jena und in Südostthüringen. Schließlich habe ich mir ein
Rennrad gekauft und war nicht mehr zu bremsen. Eine lustige Fügung des
Schicksals hat mich mit Torsten Hiekmann zusammengebracht. Er war Profi bei
Gerolsteiner und Team Telekom, außerdem Junioren-Weltmeister im Zeitfahren. Seine
Geschichten aus dem Leben eines Radsportlers haben mein Feuer natürlich weiter
angeheizt. Ich war wirklich sehr fit auf dem Rad und habe viele Stunden pro
Woche mit dem Training verbracht. In meinen frühen 20ern habe ich die Freiheit
auf dem Rad unbekümmert in vollen Zügen genossen.
Bei Trainingsausfahrten mit Kumpels und bei einigen
Hobbyrennen zeigte sich, dass ich gerade bergauf ordentliches Potential hatte.
Dementsprechend selbstbewusst bin ich im besagten Sommer 2009 zu einem
dreiwöchigen Urlaub in den Österreicher Alpen aufgebrochen, je eine Woche im
Ötztal, in Ramsau am Dachstein und im Zillertal. Neben einer grandiosen Bühne
für meine Höhenritte stand mir auch ein erstklassiges Fahrrad zur Verfügung.
Ein sehr schicker Carbonrenner von Lapierre im damaligen Teamdesign von FDJ war
für viele tausend Kilometer mein treuer Begleiter und hat mich nie im Stich
gelassen. Noch heute ärgere ich mich, dass ich dieses tolle Rad verkauft habe!
Mit diesen Vorwürfen musste ich mich damals zum Glück nicht rumschlagen. Denn
ein dreiwöchiges Buffet voller Herausforderungen, eine größer als die andere,
wartete nur darauf verspeist zu werden. Rad Fahren macht hungrig!!!
Das Ötztal - Die Radtouren
Natürlich habe ich mich sehr auf meinen dreiwöchigen
Alpenurlaub gefreut. Endlich bekam ich die Chance meine Leistungsfähigkeit an
richtigen Bergen zu beweisen. Außerdem übt die Hochgebirgswelt eine unglaublich
intensive Faszination auf mich aus. Wahrscheinlich habe ich das von meiner Oma
geerbt. In den ersten zwei Wochen war ich mit meinen Eltern unterwegs und
Station Nummer 1 war Obergurgl am oberen Ende des Ötztals. Auf 1907 m Höhe ist
es das höchste Kirchdorf Österreichs, umrahmt von einem atemberaubenden 3000er
Gipfeln. Wie in so vielen Alpenorten ist hier die Wintersaison die Dominante.
Uns sollte das nicht stören, schließlich wandert und radelt es sich besser,
wenn nicht soviel Trubel ist.
Voll gepumpt mit Motivation hat mich meine erste kleine
Radtour noch am Tag unserer Ankunft hinauf zum Timmelsjoch geführt. Von Obergurgl
sind es ja “nur” 13 km und ca. 770 Höhenmeter. Sicherlich keine Spazierfahrt,
aber auch keine Überqual, zumindest nicht in meinem damaligen Trainingszustand.
Ich würde das Gefühl als berauschend beschreiben. Trotz des Sonnenscheins war
die Luft klar und kühl. Ideal, wenn man sich bei minimalem Fahrtwind den
Anstieg empor kämpft. Die Schnee bedeckten Gipfel, die Geröllhänge und die
kahlen Hochgebirgswiesen formten eine anspornende Kulisse und bis auf den
mäßigen Verkehr schien der Trubel der Zivilisation weit entfernt zu sein. Die
Alpenstraßen sind anders als die Thüringer Asphaltdecken. Die hellgrauen
Betonmischungen versprühen einen abenteuerlichen Charme. Dennoch bringen sie
mich anstandslos zum Ziel.
Das schwierigste Stück zum Timmelsjoch (2474 m) ist nach
meinem Empfinden der Abschnitt zwischen Obergurgl und der Passhöhe.
Insbesondere die lange Grade durch das Hochtal des Timmelsbaches zehrt am
Sportler. Fast schnurgerade für mehr als 2 km, doch es geht nicht voran. Durch
die weite des Tals sieht man den Anstieg (im Schnitt ca. 8 %) nicht und ein
ordentlicher Gegenwind bringt einen schier zur Verzweiflung. Das Ende ist in
Sicht, doch es kommt nicht näher. Ist es nicht schön? Eben wegen dieser
Herausforderung bin ich doch ins Ötztal gefahren. Und ich habe es genossen!
Natürlich hat die Straße zum Timmelsjoch, wie es sich gehört, auch tolle Kehren
zu bieten. Diese versetzen jeden Rennradfahrer unweigerlich in entzücken.
Bergauf vergleichen wir uns mit den Profis bei Giro, Tour oder Vuelta, die sich
mit ganzer Eleganz Kurve um Kurve durch ein Menschenmeer hinauf winden, das
Gesicht zu einer verkrampften Grimasse verzogen. Und bergab geht es ums
Genießen des sogenannten “Flows”, wenn man sich rhythmisch in die Kurven legt
und scheinbar mühelos dem Rausch der Geschwindigkeit verfällt. Apropos
Geschwindkeitsrausch, eine Zahl ist mir bis heute in Erinnerung: 102,4. Denn so
mühsam ein gerader, steiler Anstieg mit Gegenwind ist. Stürzt man sich auf ihm
ins Tal, erlebt man einen wahren Adrenalinkick. Die Straße in einem sehr guten
Zustand, kein Verkehr und wenn, dann ja von weitem einsehbar, da kann man es
ruhig mal laufen lassen. So haben mich Wind und Gravitation auf 102,4 km/h
beschleunigt, purer Wahnsinn!
Nun bin ich nicht ins Ötztal gekommen, um das Timmelsjoch
von Obergurgl aus zu erstürmen. Nein, ich wollte natürlich die ganze Strecke
hinauf fahren. Deswegen bin ich am Dienstag mit dem Auto nach Ötz hinab
gefahren, um von dort den kompletten Aufstieg zu beginnen. Freilich hätte ich
auch mit den Rad hinunter fahren können, doch 2 Gründe sprachen für mich
dagegen. Zum einen hätte ich mit einer langen Abfahrt am Morgen beginnen und
vielleicht etwas verfroren in den Aufstieg fahren müssen. Zum anderen ist die
lange Abfahrt doch eine super Belohnung für die vorangegangenen Strapazen!
Schließlich sind auf den gut 54 km hinauf zur Passhöhe 1694 Höhenmeter zu
überwinden. Allerdings sind in die Strecke auch ein paar Abfahrten eingebaut,
sodass man beim Klettern von 780 auf 2474 m Höhe mehr als 2100 Höhenmeter sammelt.
Das lohnt sich!
Da das Ötztal über seine gesamte Länge recht schmal und
von hohen Bergrücken flankiert ist, beginnt meine Tour zum Timmelsjoch in
frischen Schatten der morgendlichen Berge. Zum Glück muss ich nicht lange
frieren, denn gleich hinter Ötz geht es schon schwungvoll hinauf und die ersten
Kehren türmen sich vor mir auf. Der Verkehr ist im vorderen Teil des Tals noch
recht üppig. Dennoch rollt es sich recht gut dahin. Nur selten sind steile
Rampen zu überwinden und oft tut es sogar das große Kettenblatt. Schließlich
erreicht man nach guten 30 km und 800 Höhenmetern das touristische Zentrum des
Tals: Sölden. Der Verkehr reduziert sich nun spürbar, dafür nimmt die
Durchschnittssteigung merklich zu. Schließlich sind noch 1300 Höhenmeter auf 24
km zu meistern. Die Gletscherstraße lasse ich (vorerst) rechts liegen und
stürze mich motiviert in das grandiose Finale der Timmelsjochstraße. Der
Landschaftsfaktor wird nach Sölden um ein vielfaches gesteigert, da durch die
Weitung des Tals der Blick auf die imposanten Hochgebirgszüge frei wird. Nun
begleitet mich auch die Sonne und lässt mir für jeden Höhenmeter, den ich mir
erkämpfe, einen Schweißtropfen von der Stirn rinnen. Bald habe ich auch den
Abzweig nach Obergurgl erreicht. Die Kehren hinauf nach Hochgurgl und zur
Mautstelle türmen sich zu meiner linken auf. Weiter, weiter, immer weiter!
Meine Beine fühlen sich noch sehr gut an und so beginne ich voller Heldenmut
dieses steile Teilstück. Zugegeben, etwas mulmig wurde mir beim Erreichen der
Mautstelle, angesichts des vor mir liegenden Hochtals des Timmelsbaches. Doch
der Höhenrausch spült alle Zweifel und Schmerzen hinfort. Ehe ich mich versehe,
erreiche ich die letzten Kehren vor der Passhöhe. Es ist ein monumentales
Gefühl! Umgeben von dieses prächtigen, schneebedeckten Gipfel zu wissen, dass
man eine große Herausforderung erfolgreich meistert. Außerdem freue ich mich
schon auf die Cola, die ich mir im Gasthaus auf der Passhöhe gönnen werde!
Ich weiß leider nicht mehr genau, wie lange ich für den
Anstieg gebraucht habe. Es war jedenfalls eine sportliche Zeit. Deswegen war
ich auch mächtig stolz auf mich. Nach der erfrischenden Cola und einem
Erinnerungsfoto werfe ich mir meine Windweste über. Der Übergang vom
Höhenrausch in den Geschwindigkeitswahn ist nahtlos. Schade, dass Sölden
alsbald erreicht ist. Mit abnehmenden Steigungsprozenten und zunehmendem
Verkehr sind nun wieder die Beine gefragt. Wie heißt es doch so schön, aktive
Regeneration. Geschafft aber froh rolle ich mit stolzgeschwellter Brust in Ötz
ein. Was für ein toller Ritt. Und das war erst der Anfang meiner
"Alpentour" …
Als vorbildlicher Rennradler war ich mir bewusst, dass
man dem Körper auch Ruhepausen gönnen muss. Für das lockere Pedalieren habe ich
das Venter Tal entdeckt. Es liegt sozusagen eine Stufe tiefer als Obergurgl am
Südhang des Tiefenbachferner. Von Sölden kommend in Zwieselstein rechts von der
Bundesstraße ab und folgt bei gemütlichen Steigungen dem Verlauf der Venter
Ache. Es ist ein verschlagenes Nebental, sodass man sich auch nicht mit starkem
Verkehr herum ärgern muss. Die 13,2 km bis Vent und einem Anstieg von 547
Höhenmeter (ø 4,13 %) rolle ich an meinem Ruhetag mit einer kleinen Übersetzung
dahin. Das wilde Rauschen der Venter Ache hat eine beruhigende Wirkung, während
mir die alpine Sonne mollig warm die Haut streichelt. In dem engen Tal ist man
von den steilen Berghängen fast eingeengt und die Lawinengalerien erinnern an
die zerstörerische Energie, die von den Felsflanken gen Tal donnert. Zum Glück
nicht im Sommer!
Als ich den kleinen Ort Vent erreiche, verspüre ich noch
Lust auf mehr. Deshalb fasse ich den Entschluss, dem Asphalt bis zu seinem Ende
zu folgen. So gelange ich auf die Rofenstraße, die über 2 km zum Gasthaus
Rofenhof führt. Die Straße ist größtenteils einspurig und auch deutlich
steiler. 135 weitere Höhenmeter füge ich so meinem Konto hinzu. Doch es lohnt
sich! Hier wird der Blick auf zahlreiche weitere 3000er mit ihren eis- und
schneebedeckten Gipfeln frei. Atemberaubend! Wegen der enge der Straßen und des
Autoverkehrs zum Gasthaus ist auf der Abfahrt zurück nach Vent Vorsicht
geboten, zumal auch viele Spaziergänger bei dem Kaiserwetter unterwegs sind.
Doch am Ruhetag muss man es nicht krachen lassen, einfach genießen. Entspannt
rolle ich dem Talausgang entgegen. Dass ich noch einige Höhenmeter hinauf nach
Obergurgl strampeln muss, stört mich nicht. In Gedanken bin ich sowieso schon
bei meiner nächsten Herausforderung: der Söldener Gletscherstraße.
Es gibt viele Diskussionen und Meinungen, welches nun die
höchsten oder schwersten Straßen in den Alpen seien. Zwei Routen, die dabei
nicht außer Acht gelassen werden können, sind ganz klar die Söldener
Gletscherstraße und die Zillertaler Höhenstraße. Beide standen im Sommer 2009
auf meinem Programm, erstere während meines Ötztalaufenthalts. Für mich war und
ist die Söldener Gletscherstraße der Höhepunkt. Bis auf 2829 m klettern, das
ist schon sehr beeindruckend! (Laut Wikipedia ist es damit der höchstgelegene,
mit einer Straße erreichbare asphaltierte Punkt in den Alpen) Und 14,15 km
Anstieg bis zum Tiefenbachferner mit einem Schnitt von 12 % haben sich
ordentlich gewaschen! Wer hier nicht mit einer famosen Trainingszustand
anreist, wird nicht viel Freude haben. Nach meiner Tour zum Timmelsjoch war
mein Selbstbewusstsein ungebrochen und so habe ich mich am Donnerstag in das
Abenteuer Gletscherstraße gestürzt.
Unter strahlend blauem Himmel sause ich die Abfahrt von
Obergurgel nach Sölden hinab. Gleich am Ortseingang zweigt die Gletscherstraße
unverkennlich links ab, um ihren monumentalen Anstieg von 1428 m auf über 2800
zu beginnen. Ich schaue noch auf meine Tachouhr, um meine Zeit bis oben zu
stoppen. Und schon bin ich mittendrin in der Gletscherstraße und die Ketter
wandert sehr sehr schnell nach links. Ich muss zugeben, dass ich etwas Bammel
hatte, ob mich meine Übersetzung von 39x28 auch die richtig steilen Anstiege
hinauf bringen würde. Schließlich war es gerade die Zeit, in der die
Kompaktkurbeln im Kommen waren. Im Nachhinein stellten sich diese Zweifel als
völlig unbegründet heraus.
In den ersten 5,5 km bis zur Mautstelle, die den Beginn
des Hochtals des Rettenbachs einläutet, schlängelt sich die Straße durch den
Alpen typischen Nadelwald auf 2029 m hinauf. Da dort oben ein reines Skigebiet
ist, ist der Autoverkehr minimal. Meinen Rhythmus habe ich schnell gefunden.
Der Stolz über jeden erklommenen Höhenmeter treibt mich nur noch weiter voran.
Auf meinem Weg nach oben, überhole ich auch einige andere Radfahrer, die
sichtlich mehr leiden als ich. Ob sie es wohl bis oben schaffen?
Die Mautstelle liegt in einer Senke, sodass man etwas von
der mühsam erreichten Höhe wieder einbüßt. Andererseits kann man auch etwas
Schwung aus der kurzen Abfahrt mitnehmen. Der Blick in das offene Hochtal,
welches mit dem Rettenbachferner endet, ist imposant. Das gibt einen
zusätzlichen Schub für die am Limit arbeitenden Beine! Auf den nächsten 5,7 km
wird die Luft mit jeder Kurbelumdrehung dünner. Schließlich geht es weitere 620
hm hinauf zur “Talstation” der Skilifte am Rettenbachferner. Für mich ist nicht
vorstellbar, dass im Winter die Skimassen mit Autos hier hinauf fahren. Und das
liegt nicht nur am Sauerstoffmangel in meinem Gehirn! In vielen anderen
Regionen der Alpen, in denen ich schon war, kommt man nur durch anspruchsvolle
Wanderungen auf Hütten, die über 2400 m oder 2500 m liegen, geschweige denn auf
einer Straße. Mir soll es recht sein. Wegen des massiven Skitourismus ist die
Straße wenigsten gut ausgebaut. Das Highlight sind die 4 großen Kehren auf
halbem Weg zwischen Mautstation und Seilbahnen. Mit ihren 12 % Steigung liegen
sie ganz im Mittel der Gletscherstraße.
Kurz bevor ich die Station am Rettenbachferner nach ca.
45 Minuten erreiche biege ich scharf links ab. Schließlich möchte ich noch
höher hinaus! Um mir die letzten 200 Höhenmeter zum Gipfel auch noch
Gutschreiben zu können, muss ich durch den Tiefenbachtunnel, der heute
Rosi-Mittermaier-Tunnel heißt (1,729 km/8,9 %). Der Tunnel ist glücklicherweise
ausreichend beleuchtet. 1982 wurde er eröffnet, um auch den Tiefenbachferner
für die Skitouristiker zu erschließen. Die kalte Luft im Tunnel wirkt wie eine
letzte Erfrischung, sodass ich auch diese letzte Hürde erfolgreich meistere.
Das Gefühl ganz oben zu sein ist euphorisiert mich ungemein. Ich denke, dass
ich zurecht stolz auf mich sein kann!
Ich habe etwas Bammel vor der Abfahrt in dem kalten
Tunnel, mehr als 5 Grad sind es bestimmt nicht. Etwas verfroren, aber
unversehrt erreiche ich das Tageslicht am Rettenbachferner. Die strahlende
Alpensonne bringt mich schnell wieder auf Betriebstemperatur als ich noch
neugierig eine Ehrenrunde um das Stationsgebäude drehe. Schließlich mache ich
mich auf die rasante Abfahrt nach Sölden hinab. Auf der Heimfahrt nach
Obergurgl genieße ich jeden Meter Ötztal. Denn schon übermorgen geht es weiter
nach Ramsau am Dachstein. Nach diesem Höhentrainingslager wird auch diese Woche
ein großes Vergnügen, ganz bestimmt!
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