Alpenbegeisterung gepaart mit Radverrücktheit - Wer hätte das vor 11 Jahren gedacht?

Radsportverrückt war ich schon immer. Das mit der Begeisterung für imposante Berge kam erst neu bei mir dazu. Mein Vater kann es nach wie vor nicht glauben, wenn ich ihm Fotos aus den Alpen zeige. Hatte er mit mir in meiner Jugendzeit tägliche Grundsatzdiskussionen zu führen, ob es wirklich noch über den March-Hügel (max. 35 Höhenmeter) rüber muss oder, ob man diesen nicht irgendwie umfahren kann. Dazu passen dann begeisterte Erzählungen über das Erklimmen von Grimsel, Furka, Susten oder der Kleinen Scheidegg via Rad nicht wirklich. Und das ohne permanent zu Nörgeln? Ja, wirklich kaum zu glauben. Ich glaube es ja manchmal selbst nicht.

Aber heute soll es gar nicht um meine neue, innige Beziehung zu Bergen gehen, sondern um die von Marcus Richter. Kennengelernt haben wir uns 2005 - also vor 11 Jahren - auf einem Jugend Camp auf den Azoren, einem der besten Orte der Welt, um Wale und Delfine zu sehen. Marcus war damals einer der Teilnehmer, ich Betreuer. Trotz der räumlichen Entfernung - Freiburg/Berlin - blieben wir in Kontakt, begeisterten wir uns doch beide für Wale & Delfine, das Fotografieren und hörten die gleiche Musik. "Dritte Wahl" steht bei uns nach wie vor weit oben in der Liste. Über Sport hatten wir damals nicht so viel gesprochen, zumal ich zu der Zeit nicht einmal mehr ein Rad im Keller stehen hatte. Marcus selbst begeisterte sich für alle Arten von Sport. Spielt selbst Hockey, Eishockey und Rugby und entdeckte irgendwann seine Liebe zum Rennrad. 

Azoren-Camp 2005: Marcus (links), Anke (Mitte) und ich (rechts)
Inzwischen hat es ihn als Biologe gemeinsam mit seiner Frau Anke, damals ebenfalls Teilnehmerin des Jugendcamps,  nach Hawaii verschlagen. Dank der sozialen Netzwerke klappt auch hier der Kontakt völlig problemlos. Inzwischen auch Marcus mit eigenem blog: Hawaii Roadbike Blog.
Marcus (links) beim Zach Crit auf Hawaii

Da er Gefallen an meinem blog gefunden hat und er bisher keine geeignete Plattform für seine Alpenradtouren gefunden hatte, kam die vorsichtige Anfrage, ob ich nicht Interesse hätte, seine Berichte zu veröffentlichen. Ja klar. Es ist schön zu sehen, dass es nicht nur mir so geht. 

Hier sein erster Bericht:

Herausforderungen und Kämpfen


Rennrad Fahren, Wandern im Gebirge. Das Erklimmen steiler, kurviger Bergstraßen, das Ersteigen windiger Gipfel übt eine ganz besondere Faszination auf mich aus. Es ist ein Kampf mit der Geographie, den Elementen und ultimativ mit sich selbst. Mit nicht gegen. Gegen heißt, den anderen zu bezwingen, ihn auszuschalten. Was bleibt mir, wenn ich den Berg, das Wetter, mich selbst vernichte? Leere. Ich kämpfe mit ihnen, um das Ziel die Herausforderung zu meistern und die Schwierigkeit zu erhöhen. Ich kämpfe mit ihnen, weil ich sie respektiere, mit ihnen leben will. Die Freude am Kampf und nicht am Gewinnen ist mein Antrieb. Niederlagen sind schmerzhaft. Das sind auch Siege. Das gute Gefühl wird aus dem Kampf gewonnen, dem man sich gestellt hat, unabhängig von seinem Ausgang. Ich will den Berg nicht besiegen. Ich möchte, dass er morgen auch noch dort steht in seiner Pracht und Schönheit und mich erneut herausfordert. Ebenso verhält es sich mit dem Wetter. Dir war es heute zu einfach? Wie wär’s mit etwas Regen morgen? Und schließlich: mich selbst? Was passiert, wenn man sich selbst besiegt? Ist es das Ende und mehr kann nicht kommen? Gibt es keine Herausforderung mehr? Stirbt man (in einem übertragenem Sinn)?

Marcus, Dein Blick sagt alles ;)
Die Natur mit den Bergen, den Pflanzen, dem Wetter und und und kann und will ich als Sportler nie besiegen. Doch wie sieht es mit mir selbst aus? Habe ich mich schon besiegt? Ich denke ja. Für mich ist der Sieg über sich selbst der Moment, in dem man inne hält und sich fragt: Was nun? Womit kann ich mich selbst wieder herausfordern? Und es fällt einem nichts ein. Stillstand. Alle Ziele erreicht. Das ist eine sehr delikate Situation im (Sportler-)Leben. Plötzlich fehlt die Richtung. Der Kompass dreht sich im Kreis. Die ultimative Herausforderung, die Ursache des eigenen Wirkens, nämlich der Kampf mit sich selbst verschwindet und man hängt im Leerlauf fest.
Ich. Ich. Ich. In einem sehr interessanten Seminar über gewaltfreie Kommunikation habe ich gelernt, dass das “Ich” an erster Stelle steht. Wie fühle Ich mich. Wie verstehe Ich dich. Was kann Ich machen, damit du Mich verstehst? Beim Sport ist es nicht anders. Die Motivation, ein Hochgebirge mit dem Rad zu durchfahren, einen Berggipfel zu Fuß statt mit der Gondel zu erklimmen oder einfach ein Spiel zu gewinne, resultiert aus dem “Ich”. Ein Schuss wird nicht geblockt, weil mein Trainer es mir sagt, sondern weil Ich mir selbst die Herausforderung stelle, die Vorgaben meines Trainers zu erfüllen. Ich will es, ich kann es, ich schaffe es! Doch dazu brauche Ich ein Ziel.
Ein Kampf ohne Ziel ist unbestreitbar Zeit- und Energieverschwendung. Kein Mensch bei klarem Verstand wird eine Handlung ohne ein Ziel, einen Antrieb ausführen. Deswegen brauche ich auch im Sport Ziele. Diese variieren natürlich je nach Sportart. Prinzipiell gibt es ein Ziel, welches immer dabei ist: Ich muss besser werden! Sobald dieses Ziel verloren geht, droht das gesamte Konstrukt einzustürzen. Fast alle anderen Ziele basieren schließlich darauf, dass Ich mich dem Kampf mit meiner eigenen Leistungsfähigkeit stelle. Diese Mal habe Ich 2,5 Stunden bis zur Berghütte gebraucht. Das nächste Mal schaffe Ich es in 2,25 Stunden! Sicherlich kann man Geschwindigkeiten, Weglängen, Höhenmeter etc. mehr und mehr nach oben schrauben. Doch irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man unter den gegebenen Umständen (Trainingszeit, Material, usw.) sein Potenzial ausgeschöpft hat. Was dann?
Diese Frage wirft mich zurück ins Jahr 2009, mein “glorreicher Sommer”. Während meiner Studienzeit in Jena hat mich das Radsportfieber infiziert und ich war besessen von dem Traum, die Passstraßen der Alpen mit dem Rennrad zu erklimmen.  Angefangen hat es mit einem Mountainbike auf den Radwanderwegen und Landstraßen rings um Jena und in Südostthüringen. Schließlich habe ich mir ein Rennrad gekauft und war nicht mehr zu bremsen. Eine lustige Fügung des Schicksals hat mich mit Torsten Hiekmann zusammengebracht. Er war Profi bei Gerolsteiner und Team Telekom, außerdem Junioren-Weltmeister im Zeitfahren. Seine Geschichten aus dem Leben eines Radsportlers haben mein Feuer natürlich weiter angeheizt. Ich war wirklich sehr fit auf dem Rad und habe viele Stunden pro Woche mit dem Training verbracht. In meinen frühen 20ern habe ich die Freiheit auf dem Rad unbekümmert in vollen Zügen genossen.
Bei Trainingsausfahrten mit Kumpels und bei einigen Hobbyrennen zeigte sich, dass ich gerade bergauf ordentliches Potential hatte. Dementsprechend selbstbewusst bin ich im besagten Sommer 2009 zu einem dreiwöchigen Urlaub in den Österreicher Alpen aufgebrochen, je eine Woche im Ötztal, in Ramsau am Dachstein und im Zillertal. Neben einer grandiosen Bühne für meine Höhenritte stand mir auch ein erstklassiges Fahrrad zur Verfügung. Ein sehr schicker Carbonrenner von Lapierre im damaligen Teamdesign von FDJ war für viele tausend Kilometer mein treuer Begleiter und hat mich nie im Stich gelassen. Noch heute ärgere ich mich, dass ich dieses tolle Rad verkauft habe! Mit diesen Vorwürfen musste ich mich damals zum Glück nicht rumschlagen. Denn ein dreiwöchiges Buffet voller Herausforderungen, eine größer als die andere, wartete nur darauf verspeist zu werden. Rad Fahren macht hungrig!!!


Das Ötztal - Die Radtouren

Natürlich habe ich mich sehr auf meinen dreiwöchigen Alpenurlaub gefreut. Endlich bekam ich die Chance meine Leistungsfähigkeit an richtigen Bergen zu beweisen. Außerdem übt die Hochgebirgswelt eine unglaublich intensive Faszination auf mich aus. Wahrscheinlich habe ich das von meiner Oma geerbt. In den ersten zwei Wochen war ich mit meinen Eltern unterwegs und Station Nummer 1 war Obergurgl am oberen Ende des Ötztals. Auf 1907 m Höhe ist es das höchste Kirchdorf Österreichs, umrahmt von einem atemberaubenden 3000er Gipfeln. Wie in so vielen Alpenorten ist hier die Wintersaison die Dominante. Uns sollte das nicht stören, schließlich wandert und radelt es sich besser, wenn nicht soviel Trubel ist.
Voll gepumpt mit Motivation hat mich meine erste kleine Radtour noch am Tag unserer Ankunft hinauf zum Timmelsjoch geführt. Von Obergurgl sind es ja “nur” 13 km und ca. 770 Höhenmeter. Sicherlich keine Spazierfahrt, aber auch keine Überqual, zumindest nicht in meinem damaligen Trainingszustand. Ich würde das Gefühl als berauschend beschreiben. Trotz des Sonnenscheins war die Luft klar und kühl. Ideal, wenn man sich bei minimalem Fahrtwind den Anstieg empor kämpft. Die Schnee bedeckten Gipfel, die Geröllhänge und die kahlen Hochgebirgswiesen formten eine anspornende Kulisse und bis auf den mäßigen Verkehr schien der Trubel der Zivilisation weit entfernt zu sein. Die Alpenstraßen sind anders als die Thüringer Asphaltdecken. Die hellgrauen Betonmischungen versprühen einen abenteuerlichen Charme. Dennoch bringen sie mich anstandslos zum Ziel.
Das schwierigste Stück zum Timmelsjoch (2474 m) ist nach meinem Empfinden der Abschnitt zwischen Obergurgl und der Passhöhe. Insbesondere die lange Grade durch das Hochtal des Timmelsbaches zehrt am Sportler. Fast schnurgerade für mehr als 2 km, doch es geht nicht voran. Durch die weite des Tals sieht man den Anstieg (im Schnitt ca. 8 %) nicht und ein ordentlicher Gegenwind bringt einen schier zur Verzweiflung. Das Ende ist in Sicht, doch es kommt nicht näher. Ist es nicht schön? Eben wegen dieser Herausforderung bin ich doch ins Ötztal gefahren. Und ich habe es genossen! Natürlich hat die Straße zum Timmelsjoch, wie es sich gehört, auch tolle Kehren zu bieten. Diese versetzen jeden Rennradfahrer unweigerlich in entzücken. Bergauf vergleichen wir uns mit den Profis bei Giro, Tour oder Vuelta, die sich mit ganzer Eleganz Kurve um Kurve durch ein Menschenmeer hinauf winden, das Gesicht zu einer verkrampften Grimasse verzogen. Und bergab geht es ums Genießen des sogenannten “Flows”, wenn man sich rhythmisch in die Kurven legt und scheinbar mühelos dem Rausch der Geschwindigkeit verfällt. Apropos Geschwindkeitsrausch, eine Zahl ist mir bis heute in Erinnerung: 102,4. Denn so mühsam ein gerader, steiler Anstieg mit Gegenwind ist. Stürzt man sich auf ihm ins Tal, erlebt man einen wahren Adrenalinkick. Die Straße in einem sehr guten Zustand, kein Verkehr und wenn, dann ja von weitem einsehbar, da kann man es ruhig mal laufen lassen. So haben mich Wind und Gravitation auf 102,4 km/h beschleunigt, purer Wahnsinn!
Nun bin ich nicht ins Ötztal gekommen, um das Timmelsjoch von Obergurgl aus zu erstürmen. Nein, ich wollte natürlich die ganze Strecke hinauf fahren. Deswegen bin ich am Dienstag mit dem Auto nach Ötz hinab gefahren, um von dort den kompletten Aufstieg zu beginnen. Freilich hätte ich auch mit den Rad hinunter fahren können, doch 2 Gründe sprachen für mich dagegen. Zum einen hätte ich mit einer langen Abfahrt am Morgen beginnen und vielleicht etwas verfroren in den Aufstieg fahren müssen. Zum anderen ist die lange Abfahrt doch eine super Belohnung für die vorangegangenen Strapazen! Schließlich sind auf den gut 54 km hinauf zur Passhöhe 1694 Höhenmeter zu überwinden. Allerdings sind in die Strecke auch ein paar Abfahrten eingebaut, sodass man beim Klettern von 780 auf 2474 m Höhe mehr als 2100 Höhenmeter sammelt. Das lohnt sich!
Da das Ötztal über seine gesamte Länge recht schmal und von hohen Bergrücken flankiert ist, beginnt meine Tour zum Timmelsjoch in frischen Schatten der morgendlichen Berge. Zum Glück muss ich nicht lange frieren, denn gleich hinter Ötz geht es schon schwungvoll hinauf und die ersten Kehren türmen sich vor mir auf. Der Verkehr ist im vorderen Teil des Tals noch recht üppig. Dennoch rollt es sich recht gut dahin. Nur selten sind steile Rampen zu überwinden und oft tut es sogar das große Kettenblatt. Schließlich erreicht man nach guten 30 km und 800 Höhenmetern das touristische Zentrum des Tals: Sölden. Der Verkehr reduziert sich nun spürbar, dafür nimmt die Durchschnittssteigung merklich zu. Schließlich sind noch 1300 Höhenmeter auf 24 km zu meistern. Die Gletscherstraße lasse ich (vorerst) rechts liegen und stürze mich motiviert in das grandiose Finale der Timmelsjochstraße. Der Landschaftsfaktor wird nach Sölden um ein vielfaches gesteigert, da durch die Weitung des Tals der Blick auf die imposanten Hochgebirgszüge frei wird. Nun begleitet mich auch die Sonne und lässt mir für jeden Höhenmeter, den ich mir erkämpfe, einen Schweißtropfen von der Stirn rinnen. Bald habe ich auch den Abzweig nach Obergurgl erreicht. Die Kehren hinauf nach Hochgurgl und zur Mautstelle türmen sich zu meiner linken auf. Weiter, weiter, immer weiter! Meine Beine fühlen sich noch sehr gut an und so beginne ich voller Heldenmut dieses steile Teilstück. Zugegeben, etwas mulmig wurde mir beim Erreichen der Mautstelle, angesichts des vor mir liegenden Hochtals des Timmelsbaches. Doch der Höhenrausch spült alle Zweifel und Schmerzen hinfort. Ehe ich mich versehe, erreiche ich die letzten Kehren vor der Passhöhe. Es ist ein monumentales Gefühl! Umgeben von dieses prächtigen, schneebedeckten Gipfel zu wissen, dass man eine große Herausforderung erfolgreich meistert. Außerdem freue ich mich schon auf die Cola, die ich mir im Gasthaus auf der Passhöhe gönnen werde!
Ich weiß leider nicht mehr genau, wie lange ich für den Anstieg gebraucht habe. Es war jedenfalls eine sportliche Zeit. Deswegen war ich auch mächtig stolz auf mich. Nach der erfrischenden Cola und einem Erinnerungsfoto werfe ich mir meine Windweste über. Der Übergang vom Höhenrausch in den Geschwindigkeitswahn ist nahtlos. Schade, dass Sölden alsbald erreicht ist. Mit abnehmenden Steigungsprozenten und zunehmendem Verkehr sind nun wieder die Beine gefragt. Wie heißt es doch so schön, aktive Regeneration. Geschafft aber froh rolle ich mit stolzgeschwellter Brust in Ötz ein. Was für ein toller Ritt. Und das war erst der Anfang meiner "Alpentour" …

Als vorbildlicher Rennradler war ich mir bewusst, dass man dem Körper auch Ruhepausen gönnen muss. Für das lockere Pedalieren habe ich das Venter Tal entdeckt. Es liegt sozusagen eine Stufe tiefer als Obergurgl am Südhang des Tiefenbachferner. Von Sölden kommend in Zwieselstein rechts von der Bundesstraße ab und folgt bei gemütlichen Steigungen dem Verlauf der Venter Ache. Es ist ein verschlagenes Nebental, sodass man sich auch nicht mit starkem Verkehr herum ärgern muss. Die 13,2 km bis Vent und einem Anstieg von 547 Höhenmeter (ø 4,13 %) rolle ich an meinem Ruhetag mit einer kleinen Übersetzung dahin. Das wilde Rauschen der Venter Ache hat eine beruhigende Wirkung, während mir die alpine Sonne mollig warm die Haut streichelt. In dem engen Tal ist man von den steilen Berghängen fast eingeengt und die Lawinengalerien erinnern an die zerstörerische Energie, die von den Felsflanken gen Tal donnert. Zum Glück nicht im Sommer!
Als ich den kleinen Ort Vent erreiche, verspüre ich noch Lust auf mehr. Deshalb fasse ich den Entschluss, dem Asphalt bis zu seinem Ende zu folgen. So gelange ich auf die Rofenstraße, die über 2 km zum Gasthaus Rofenhof führt. Die Straße ist größtenteils einspurig und auch deutlich steiler. 135 weitere Höhenmeter füge ich so meinem Konto hinzu. Doch es lohnt sich! Hier wird der Blick auf zahlreiche weitere 3000er mit ihren eis- und schneebedeckten Gipfeln frei. Atemberaubend! Wegen der enge der Straßen und des Autoverkehrs zum Gasthaus ist auf der Abfahrt zurück nach Vent Vorsicht geboten, zumal auch viele Spaziergänger bei dem Kaiserwetter unterwegs sind. Doch am Ruhetag muss man es nicht krachen lassen, einfach genießen. Entspannt rolle ich dem Talausgang entgegen. Dass ich noch einige Höhenmeter hinauf nach Obergurgl strampeln muss, stört mich nicht. In Gedanken bin ich sowieso schon bei meiner nächsten Herausforderung: der Söldener Gletscherstraße.

Es gibt viele Diskussionen und Meinungen, welches nun die höchsten oder schwersten Straßen in den Alpen seien. Zwei Routen, die dabei nicht außer Acht gelassen werden können, sind ganz klar die Söldener Gletscherstraße und die Zillertaler Höhenstraße. Beide standen im Sommer 2009 auf meinem Programm, erstere während meines Ötztalaufenthalts. Für mich war und ist die Söldener Gletscherstraße der Höhepunkt. Bis auf 2829 m klettern, das ist schon sehr beeindruckend! (Laut Wikipedia ist es damit der höchstgelegene, mit einer Straße erreichbare asphaltierte Punkt in den Alpen) Und 14,15 km Anstieg bis zum Tiefenbachferner mit einem Schnitt von 12 % haben sich ordentlich gewaschen! Wer hier nicht mit einer famosen Trainingszustand anreist, wird nicht viel Freude haben. Nach meiner Tour zum Timmelsjoch war mein Selbstbewusstsein ungebrochen und so habe ich mich am Donnerstag in das Abenteuer Gletscherstraße gestürzt.
Unter strahlend blauem Himmel sause ich die Abfahrt von Obergurgel nach Sölden hinab. Gleich am Ortseingang zweigt die Gletscherstraße unverkennlich links ab, um ihren monumentalen Anstieg von 1428 m auf über 2800 zu beginnen. Ich schaue noch auf meine Tachouhr, um meine Zeit bis oben zu stoppen. Und schon bin ich mittendrin in der Gletscherstraße und die Ketter wandert sehr sehr schnell nach links. Ich muss zugeben, dass ich etwas Bammel hatte, ob mich meine Übersetzung von 39x28 auch die richtig steilen Anstiege hinauf bringen würde. Schließlich war es gerade die Zeit, in der die Kompaktkurbeln im Kommen waren. Im Nachhinein stellten sich diese Zweifel als völlig unbegründet heraus.
In den ersten 5,5 km bis zur Mautstelle, die den Beginn des Hochtals des Rettenbachs einläutet, schlängelt sich die Straße durch den Alpen typischen Nadelwald auf 2029 m hinauf. Da dort oben ein reines Skigebiet ist, ist der Autoverkehr minimal. Meinen Rhythmus habe ich schnell gefunden. Der Stolz über jeden erklommenen Höhenmeter treibt mich nur noch weiter voran. Auf meinem Weg nach oben, überhole ich auch einige andere Radfahrer, die sichtlich mehr leiden als ich. Ob sie es wohl bis oben schaffen?
Die Mautstelle liegt in einer Senke, sodass man etwas von der mühsam erreichten Höhe wieder einbüßt. Andererseits kann man auch etwas Schwung aus der kurzen Abfahrt mitnehmen. Der Blick in das offene Hochtal, welches mit dem Rettenbachferner endet, ist imposant. Das gibt einen zusätzlichen Schub für die am Limit arbeitenden Beine! Auf den nächsten 5,7 km wird die Luft mit jeder Kurbelumdrehung dünner. Schließlich geht es weitere 620 hm hinauf zur “Talstation” der Skilifte am Rettenbachferner. Für mich ist nicht vorstellbar, dass im Winter die Skimassen mit Autos hier hinauf fahren. Und das liegt nicht nur am Sauerstoffmangel in meinem Gehirn! In vielen anderen Regionen der Alpen, in denen ich schon war, kommt man nur durch anspruchsvolle Wanderungen auf Hütten, die über 2400 m oder 2500 m liegen, geschweige denn auf einer Straße. Mir soll es recht sein. Wegen des massiven Skitourismus ist die Straße wenigsten gut ausgebaut. Das Highlight sind die 4 großen Kehren auf halbem Weg zwischen Mautstation und Seilbahnen. Mit ihren 12 % Steigung liegen sie ganz im Mittel der Gletscherstraße.
Kurz bevor ich die Station am Rettenbachferner nach ca. 45 Minuten erreiche biege ich scharf links ab. Schließlich möchte ich noch höher hinaus! Um mir die letzten 200 Höhenmeter zum Gipfel auch noch Gutschreiben zu können, muss ich durch den Tiefenbachtunnel, der heute Rosi-Mittermaier-Tunnel heißt (1,729 km/8,9 %). Der Tunnel ist glücklicherweise ausreichend beleuchtet. 1982 wurde er eröffnet, um auch den Tiefenbachferner für die Skitouristiker zu erschließen. Die kalte Luft im Tunnel wirkt wie eine letzte Erfrischung, sodass ich auch diese letzte Hürde erfolgreich meistere. Das Gefühl ganz oben zu sein ist euphorisiert mich ungemein. Ich denke, dass ich zurecht stolz auf mich sein kann!
Ich habe etwas Bammel vor der Abfahrt in dem kalten Tunnel, mehr als 5 Grad sind es bestimmt nicht. Etwas verfroren, aber unversehrt erreiche ich das Tageslicht am Rettenbachferner. Die strahlende Alpensonne bringt mich schnell wieder auf Betriebstemperatur als ich noch neugierig eine Ehrenrunde um das Stationsgebäude drehe. Schließlich mache ich mich auf die rasante Abfahrt nach Sölden hinab. Auf der Heimfahrt nach Obergurgl genieße ich jeden Meter Ötztal. Denn schon übermorgen geht es weiter nach Ramsau am Dachstein. Nach diesem Höhentrainingslager wird auch diese Woche ein großes Vergnügen, ganz bestimmt!
 






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